Die Weltbevölkerung wächst ständig: Aktuell leben auf der Erde rund 7,6 Milliarden Menschen – und jedes Jahr kommen etwa 80 Millionen dazu. Das entspricht circa der Einwohnerzahl von Deutschland. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts über 10,4 Milliarden Menschen auf dem Planeten leben werden. Und die meisten davon in den Städten: Aktuell sind es rund 55 Prozent, bis zum Jahr 2050 werden mehr als 65 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben.
Die Frage, wie all diese Menschen ernährt werden können, wird – neben der Bekämpfung des Klimawandels – eine der dringlichsten Zukunftsfragen sein. Und beides hängt umittelbar zusammen: Auf die Landwirtschaft entfallen rund 30 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes.
Wachsende Städte, schrumpfende Landwirtschaft
Durch die Ausdehnung der Städte und den Ausbau von Autobahnen und Landstraßen werden landwirtschaftliche Nutzflächen immer knapper, hinzu kommen die Erschöpfung der Böden und ihre Belastung durch den Einsatz von Chemikalien. Ein weiterer Faktor ist der fortschreitende Klimawandel und die damit verbundene Zunahme von Dürren und Überschwemmungen. Dies wird auf längere Sicht auch den Import und die Verfügbarkeit von Lebensmitteln beeinflussen.
Ein Lösungsansatz ist die Selbstversorgung der Städte, unabhängig vom ländlichen Raum und den globalen Logistikketten. Denn wenn immer mehr Lebensmittel in die Städte transportiert werden, bedeutet das auch zusätzlichen Energieaufwand und CO2-Ausstoß.
Von Urban Farming zu Vertical Farming – Es grünt in den Städten
Was mit Urban Farming als hipper Trend in den Großstädten mit Balkongärten und der Bepflanzung von ungenutzten Grundstücken, Hausdächern und Grünstreifen begann, hat sich zu einem neuen Wirtschaftszweig entwickelt: Beim Vertical Farming („Vertikale Landwirtschaft“) werden Ideen verwirklicht, die bereits seit den 60er Jahren die Runde machten und nun durch neue technische Errungenschaften umgesetzt werden können.
Das Hochhaus als Gewächshaus
Grundidee des Vertical Farming ist der Anbau und die Produktion von Obst und Gemüse in mehrstöckigen Gebäuden innerhalb von Städten. Der Anbau erfolgt über mehrere Etagen – jedoch ohne Erde oder klassische Bewässerung: Die Samen werden auf wiederverwendbarem Gewebe ausgesät, auf dem sie auskeimen und wachsen. Das Gewebe wird über Schalen gespannt, die vertikal übereinandergestapelt sind. LED-Lichterreihen ersetzen das Sonnenlicht und ein Kreislaufsystem, das Wasser und Nährstoffe in der Luft zerstäubt, sorgt für die Bewässerung. Damit lässt sich auf vergleichsweise kleiner Fläche ein sehr hoher Ertrag erzielen.
So erzielt die aktuell größte Vertical Farm in einem ehemaligen Stahlwerk bei New York einen Ertrag auf 7.000 Quadratmetern nach eigenen Angaben knapp 900.000 Kilogramm Salat jährlich. Das ist ein 75-mal höheren Ertrag pro Quadratmeter als herkömmliche Ackerflächen. Und verbraucht dabei parallel rund 95 Prozent weniger Wasser.
In Dubai soll die größte Vertical Farm der nahen Zukunft bald in der Lage sein, auf rund 12.000 Quadratmetern bis zu 3.000 Kilogramm Gemüse am Tag zu produzieren.
Vertical Farming – Was spricht dafür, was dagegen?
Ein Pluspunkt ist die Effizienz: Auf wenig Platz kann ein hoher Ertrag erzielt werden. Zudem kann bei dieser Art des Anbaus weitestgehend auf Pflanzenschutzmittel verzichtet werden, da es sich um ein geschlossenes System handelt. Zusätzlich sind Obst und Gemüse aus vertikalem Anbau durch die optimierten Anbaubedingungen sogar nährstoffreicher und auch länger haltbar.
Kritikpunkte an der „Vertikalisierung“ der Landwirtschaft sind, dass Arbeitsplätze verloren gehen, da eine Vertical Farm weitestgehend automatisiert ist und nur wenige, spezialisierte Arbeitskräfte benötigt. Zudem ist der Bau solcher Anlagen mit immensen Kosten verbunden und ihr Unterhalt hat einen sehr hohen Energieverbrauch, denn Technik und künstliches Licht müssen rund um die Uhr versorgt werden. Nach einer Studie des Frauenhofer-Institus nutzen 78 Prozent der vertikalen Farmen bereits erneuerbare Energien.
Auch zukünftig dürfte hier mit rasanten Entwicklungen zu rechnen sein: Kimbal Musk, Bruder von Tesla-Gründer Elon Musk, ist einer der größten Investoren im Bereich Vertical Farming. Aktuelles Projekt: Die Umwandlung von ausrangierten Schiffscontainern in solarbetriebene Gewächshäuser.